"Mir hat es Spaß gemacht, der Mannschaft zuzugucken"
Donnerstag, 19. Mai 2022, 17:05 Uhr
Seit wenigen Tagen ist die Saison 2021/22 vorbei, nach dem 2:0-Heimsieg gegen Fortuna Düsseldorf haben unsere Kiezkicker am Ende Platz fünf belegt. Am Mittwoch (18.5.) nahmen sich Sportchef Andreas Bornemann und Cheftrainer Timo Schultz dann noch mal viel Zeit für die vielen Fragen der Medienvertreter*innen und sprachen dabei u.a. über...
…ihr Fazit zur Saison 2021/22:
Andreas Bornemann: "Ein kurzes Fazit ist schwierig, weil in dieser Saison so viel passiert ist. Punktetechnisch war es die zweitbeste Saison seit zehn Jahren, Platz fünf ist die beste Platzierung seit der Saison 2015/16. Wir hatten über weite Strecken eine sehr attraktive Spielweise, sind die heimstärkste Mannschaft der Liga und sind im Pokal ins Viertelfinale gekommen. Aber es ist natürlich auch klar, dass wir es am Schluss nicht gepackt haben. Es war uns gelungen, den Schwung aus der guten Rückrunde der Vorsaison mitzunehmen, obwohl es mit Omar Marmoush und Rodrigo Zalazar auch wichtige Abgänge gab. Da hatten wir auch das Spielglück, wo in engen Spielen die Schlüsselsituationen häufiger für uns ausgegangen sind. Wir waren mit der Hinrunde zufrieden, haben aber auch gesagt, dass wir eine ähnlich gute Rückserie spielen müssen. Aber das alte Jahr ging für uns nicht gut zu Ende und das neue hat nicht gut angefangen. Und trotzdem hatten wir nach dem hart erkämpften Auswärtssieg in Regensburg dann wieder eine gute Phase. Wir hatten eine Gelegenheit und die Voraussetzungen waren sehr gut. Dass wir es nicht geschafft haben, kann nicht ausschließlich an Vertragsthemen liegen. Es sind immer viele Dinge. Ich fange immer inhaltlich bei unserem Fußballspiel an. Die Mannschaften, die jetzt aufgestiegen sind, hatten Woche für Woche dieselbe Mannschaft auf dem Platz. Wir hatten in der Crunch Time fünfte Gelbe Karten und Corona und hätten am vorletzten Spieltag mit einem Sieg bis auf zwei Punkte an den Tabellenführer ran rücken können. Auch unter diesen Vorzeichen habe ich bis zum Schluss eine Mannschaft gesehen, die immer wieder aufgestanden ist und immer wieder eine Reaktion gezeigt hat. Am Ende hat etwas gefehlt und das müssen wir akzeptieren, weil es das Ergebnis von 34 Spieltagen ist. Ich habe Bock und Timo hat Bock, das wieder anzugehen. Wir reden jetzt über die neue Mannschaft und richten den Blick nach vorne."
Timo Schultz: "Ich glaube, jeder würde unterschreiben, dass es so ziemlich die beste St. Pauli Mannschaft der letzten fünf, sechs Jahre war. Selbst mir als Trainer hat es Spaß gemacht, der Mannschaft beim Fußballspielen zuzugucken. Das steht für mich eigentlich im Vordergrund, dass wir innerhalb von zwei Jahren eine Mannschaft auf den Platz gestellt haben und die Jungs so entwickelt haben, dass es richtig geiler Fußball war. Das war schon cool und es macht mir heute immer noch wahnsinnig Spaß, die Jungs dabei zu begleiten. Dass man in einer Saison auch mal eine Delle drin hat, das ist vollkommen normal und die hatten wir kurz vor und kurz nach dem Winter. Die Delle haben wir auch eingeplant, die hatte jede Mannschaft und selbst die, die am Ende aufgestiegen sind. Und trotzdem haben wir in der Zeit Borussia Dortmund geschlagen und sind da auch richtig gut wieder rausgekommen. Wenn wir als FC St. Pauli mit unseren Möglichkeiten, die nicht schlecht sind, aber eben auch nicht an die von den Mannschaften heranreichen, die zum Beispiel aus der Bundesliga absteigen, am Ende immer noch vor denen stehen wollen, muss bei uns eigentlich fast alles zusammenpassen. Und das hat es am Ende eben nicht."
…die sportlichen Lehren aus der Rückrunde:
Timo Schultz: "In der Hinserie hatten wir elf oder zwölf verschiedene Torschützen. Das ist manchmal schwer zu erklären, aber das ist uns in der Rückrunde einfach abgegangen. Da haben wir es nicht mehr geschafft, aus anderen Positionen dauerhaft vor dem Tor gefährlich zu werden. Die Gegner haben sich dann noch besser auf uns eingestellt, auf unsere Art und Weise Fußball zu spielen. Da hätten wir vielleicht sogar noch ein bisschen mehr Flexibilität und Mut an den Tag legen können. Wir waren dann häufig in unseren Abläufen immer noch klar und auch häufig sehr dominant in den Spielen. Trotzdem hat dieses letzte Quäntchen gefehlt und wir hätten sicherlich auch noch mehr Wucht entwickeln können. Wenn man das dann so aufsummiert, dann sind das vielleicht die entscheidenden Punkte, warum es am Ende dann doch nicht für den ganz großen Wurf gereicht hat."
… die Kaderzusammensetzung für die neue Saison:
Andreas Bornemann: "Es ist eine Herausforderung, dass wir bis Mitte Juli eine eingespielte Mannschaft auf den Platz kriegen können. Mit einer kurzen Pause und möglicherweise noch unklaren Entscheidung, ob ein Spieler geht oder doch bleibt. Es wird eher schwierig sein, dass wir zum Saisonstart den Kader komplett haben werden. Was mögliche Abgänge angeht: Solange Spieler einen Vertrag bei uns haben, planen wir mit ihnen. Vor allem wenn wir nichts vorliegen haben, das wir entscheiden müssen. Wenn ich es mir aussuchen könnte, wüsste ich schon jetzt, wer noch da ist und wer dann nicht mehr da ist. Das heißt aber auch noch nicht, dass ein Spieler, den wir gerne verpflichten möchten, sich so früh für uns entscheiden will. Es ist wieder ein Puzzle, aber es gibt den Wunsch, den Großteil des Kaders so früh wie möglich zusammen zu haben."
Timo Schultz: "Grundsätzlich haben wir unseren Plan, was die Spieler angeht, die wir verpflichten wollen, was die Qualität der Spieler angeht und auch was die Positionsprofile angeht. Wir wappnen uns natürlich auch für Szenarien, die einfach andere Lösungen erfordern. Von daher ist bis jetzt ein konkreter Systemwechsel nicht geplant, aber schon deutlichere Anpassungen. Dafür brauchen wir flexible Spieler. Aber was das angeht, bin ich eigentlich auch jetzt schon sehr zufrieden mit dem Kader, den ich zur Verfügung habe. Wir haben da auch schon wirklich viele richtig gute Jungs drin, wo wir auch der Meinung sind, dass sie dieses Jahr schon gezeigt haben, dass sie den nächsten Schritt gehen können. Sie werden nächste Saison, wenn sie dann noch mehr Spielzeiten erhalten, den nächsten Schritt gehen."
…Wechselgerüchte:
Andreas Bornemann: "Der Wunsch ist immer, Spieler zu finden und über die Entwicklung besser zu machen. Am liebsten natürlich mit uns zusammen. Manchmal sind Spieler aber auch schneller und eröffnen sich dadurch Möglichkeiten. Das ist sicherlich bei Leart Paqarada, Daniel-Kofi Kyereh, Guido Burgstaller und vielleicht auch anderen der Fall. Natürlich ist da Bewegung und da wird weiterhin Bewegung drin sein. Unser Bestreben ist es, die bestmögliche Mannschaft zu behalten. Wir sind aber auch keine Träumer, dass es im einen oder anderen Fall schwierig werden könnte. Wir müssen schauen, welche Optionen sich für den Spieler und den Verein bieten, und dann abwägen. Alles, was sehr gut funktioniert hat und wegbricht, muss in einer Art wieder geschlossen werden – auch in dem Wissen, dass das nicht in einer Woche machbar ist, sondern ein Prozess ist. Dann geht es darum, die Mannschaft schnell wieder auf ein Level zu heben, dass sie wieder eine gute Rolle spielen kann. Bei Guido ist die Situation, dass er Vertrag hat. Er ist in unseren Planungen ein wichtiger Faktor. Auf der anderen Seite gibt es aber wichtige Dinge im Leben, die man respektieren und akzeptieren muss. In dem Fall müsste man Lösungen suchen, ansonsten ist der Stand so wie er ist. Er ist sportlich ein entscheidender Faktor und wäre ein großer Verlust."
…die Vertragsverlängerung der Co-Trainer:
Andreas Bornemann: "Es gibt in dieser Vertragsdiskussion zwei unterschiedliche Ebenen. Das ist das Thema Spieler und das ist das Thema Co-Trainer. Den Spielern haben wir beginnend im Januar klare Dinge aufgezeigt. Auch dass wir im Januar keine Vertragsangebote machen werden und die Fortsetzung frühestens im März, April folgen wird. Das andere Thema betrifft die Co-Trainer. Das ist nicht optimal gelaufen. Dass sich das so gezogen hat und daraus eine gewisse Unsicherheit und Unzufriedenheit beim Cheftrainer entstanden ist, tut mir leid. Da nehme ich die Verantwortung ein Stück weit auf meine Kappe. Inhaltlich gab es da keine Unterschiede, aber der Prozess war nicht optimal. Es spricht aber nichts dagegen, dass wir in den nächsten Tagen die weitere Zusammenarbeit verkünden."
(ch/hbü/ms)
Fotos: Witters