Wolf Schmidt: „Es fühlt sich richtig gut und absolut wohltuend an“
Dienstag, 20. September 2022, 11:25 Uhr
Dank einer ganz starken Leistung beim souveränen 4:0-Sieg gegen den MTV Stuttgart hat unser Blindenfußball-Team am Sonnabend (17.9.) in Köln zum zweiten Mal in Folge und zum insgesamt dritten Mal die Deutsche Meisterschaft gewonnen. Wir haben uns mit Coach Wolf Schmidt über den Triumph und die Feierlichkeiten danach unterhalten.
Moin moin Wolf, herzlichen Glückwunsch noch mal zum Gewinn der Deutschen Meisterschaft? Wie habt Ihr die gefeiert?
Im Vorjahr war es nach dem Finale in Bonn, das erst Ende Oktober ausgetragen wurde, schon dunkel. Jetzt war es noch hell und wir sind nach der Siegerehrung erst einmal mit unserem Banner „Blindenfußball ist braun-weiß“ durch die Kölner Innenstadt gezogen. Das Team hatte sich das gewünscht und dann haben wir das auch gemacht. Viele Passanten haben uns bei der Banner-Parade angefeuert und gratuliert.
Und wie verlief der Abend?
Ganz unterschiedlich. Einige haben bis zum Ende durchgezogen und sind gefühlt gar nicht zurück ins Hotel gekommen. Rasmus Narjes hatte direkt nach dem Spiel noch gesagt, dass er gar nicht schlafen gehen werde, er ist aber auch irgendwann ins Bett gegangen. Einige sind aber auch etwas früher ins Hotel, auch ich. Ich bin emotional nicht durchgedreht, sondern habe im Stillen genossen und mich gefreut.
Wie fühlt es sich an, den Titel erfolgreich verteidigt zu haben?
Es fühlt sich richtig gut und absolut wohltuend an. In der Teamsitzung, die wir immer vor den Spielen machen, habe ich gesagt, dass wir über so viel Spiel- und Wettkampferfahrung verfügen und wir ein erfahrenes Team sind, obwohl viele im Team noch jung sind. Die Trainingsbeteiligung war nicht immer ideal, auch weil einige in der Berufsausbildung sind und nicht regelmäßig trainieren können. Es war eine Frage, wie wir aufstellen und in das Spiel reingehen. Serdal Celebi hat dann gut gesagt, dass wir wie immer mit unserer soliden Grundformation spielen. Wir haben ein bisschen an der Verteidigungsarbeit gedreht. Die Ball-fernen Außenspieler sollten deutlich tiefer einrücken, als wir es vorher gemacht haben. Das hat echt gut geklappt. Die Stuttgarter hatten vor dem Spiel gesagt, sie könnten besser mit Drucksituationen umgehen. Unsere größte Drucksituation hatten wir beim Warmmachen, als wir bei dem Sturm mit Hagel und Regen beim Einschießen keinen Ball getroffen haben. Da ging gefühlt alles daneben. Die Unterbrechung war gut, denn beim erneuten Warmmachen haben die Bälle dann gesessen. Das Team war wieder da. Wir konnten uns noch mal neu justieren und sind dann ja auch gut ins Spiel reingekommen.
Die Bedingungen kurz vor dem Spiel waren aufgrund des Gewitters samt Regen und Hagel schon sehr besonders. Auch Dich konnte man vor dem Spiel sehen, wie Du den Platz vom Wasser befreit hast. Hast Du so etwas schon mal erlebt?
Tatsächlich ja. Wir waren mal in England zum Brian Aaron's Cup eingeladen und das im Februar. Das peitschte ein Hagelschauer durch den St. George's Park. Da kamen Hagelkörner groß wie Taubeneier runter. Jetzt war es mit dem Gewitter direkt über dem Dom natürlich eine besondere Situation. Als ich gesehen habe, wie der Schiedsrichter das Wasser vom Platz gefegt hat, habe auch ich sofort angepackt und mitgeholfen. Wir haben mit einem Biertisch das Wasser vom Platz geschoben und konnten ihn vom Großteil des Wassers befreien. Einige Male ist der Ball zwar liegengeblieben, man konnte aber spielen. Wir haben die Situation angenommen, sind fokussiert geblieben und haben durchgezogen.
Du hattest es schon direkt nach dem Spiel gesagt: Den Titel holen ist eine Sache, ihn zu verteidigen aber eine andere. Mit zwei Tagen Abstand die Frage: Was ist schwieriger?
Eigentlich würde ich sagen, dass es schwerer ist, ihn zu verteidigen, weil du ihn schon mal gewonnen hast. Du hast Deinen Traum bereits erfüllt. Es noch mal zu schaffen, hatte ich irgendwie schwerer erwartet, denn dieses Spiel hat sich einfacher angefühlt. Wir haben eine Dominanz ausgestrahlt, bei der zu keiner Sekunde die Gefahr bestand, dass wir das Ding nicht ziehen. Wir sind ein Team, das immer Tore schießen will. Wenn du dann in so einem Spiel vier Tore schießt, je zwei von Joni und Ramus, besser geht's nicht. Super wäre es noch gewesen, wenn auch Paul getroffen hätte. Er war einfach dran, auch weil er fleißig trainiert hat.
Mit 25 Treffern hattet Ihr zum einen die beste Offensive, mit nur einem Gegentor zudem aber auch die beste Defensive. Die komplette Saison über und gerade gegen Stuttgart habt Ihr defensiv ganz stark gespielt.
Keeper Sven Gronau hat mir gesagt, dass wir während der kompletten Saison nur drei Schüsse aufs Tor bekommen und nur gegen Marburg ein Gegentor kassiert haben, das vermeidbar war. Wir haben wirklich ganz wenig zugelassen. Das spricht absolut für unser Defensivverhalten. Speziell in den letzten Einheiten war die Defensive noch mal Thema. Ich bin ja schon ein paar Jahre dabei, aber es laufen immer noch einige Dinge nicht ganz optimal. Wir haben an der Effektivität unserer Verteidigung gearbeitet. Unser Torwart soll beispielsweise nicht alle Spieler guiden, sondern nur die beiden Spieler, die er direkt vor sich hat, und nicht die beiden, die auf den Ball gehen und sowieso schon untereinander kommunizieren. Da habe ich gedacht: Krass, dass wir darauf noch nicht früher gekommen sind.
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Die Highlights vom 4:0-Sieg gegen Stuttgart
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Man hat nicht nur im Laufe dieser Saison, sondern auch in den letzten Jahren gemerkt, dass Ihr ein Team seid und das eine, wenn nicht Eure große Stärke ist.
Unsere Teamstärke zeichnet sich durch unterschiedlichste Persönlichkeiten aus. In Köln war die komplette Blindenfußball-Sparte dabei, also auch Jugendfußballer*innen aus der Basis-Gruppe und unsere Frauen. Sie haben uns unterstützt, mitgefeiert und sich mitgefreut.
Welchen Herausforderungen müsst Ihr Euch in Zukunft stellen?
Wir sehen es aktuell beim Stuttgarter Team, das älter ist als wir, viele Jahre sehr dominant die Liga bestimmt hat und viele Titel geholt hat. Jetzt haben sie eine Zäsur-Phase. Das wird unsere allergrößte Herausforderung. Die Jugendlichen, die jetzt nachkommen, haben noch nicht das Niveau, was Jonathan Tönsing, Paul Ruge, Rasmus Narjes und Philipp Versen hatten, als sie in den Liga-Spielbetrieb eingestiegen sind. Sie mussten Teamverantwortung tragen, als sie ganz, ganz jung waren. Es gab keine älteren Spieler, die sie hätten verdrängen müssen. Sie waren ganz schnell diejenigen, die unser Spiel durch ihre Spielfähigkeit getragen haben. Bei den Frauen sehe ich riesen Schritte, sie lernen bei jedem Training dazu. Alle von ihnen, die regelmäßig trainieren, haben sich deutlich verbessert. Sie würden sich noch rasanter verbessern, wenn wir sie als Team anmelden und sie gegen Männer spielen. Bei den Jugendlichen haben wir aber kein Team, das wir für die Liga anmelden können. Es wird die Herausforderdung sein, dass wir leistungsbereite Jugendliche finden, die dann die Generation nach Joni, Rasmus, Paul und Hippo bilden. Es bringt nichts, die Jugendlichen bei einer 4:0-Führung reinzubringen. Sie müssen selber Wettkampferfahrung sammeln und Teamverantwortung kennenlernen. Sie müssen auch mal 0:6 verlieren, um zu merken, dass sie besser werden wollen. Das haben die Jungs um Joni auch gemacht. Sie haben richtig kassiert und hatten dann den Ehrgeiz, besser zu werden. Das haben sie auch erreicht. Bei nur einer Bundesliga ist es schwierig, den Jugendlichen diese Wettkampferlebnisse gegen starke Teams zu ermöglichen, denn nur dadurch verbessern sie sich.
Da können die jüngsten Erfolge sicherlich nicht schaden, um Jugendliche zu begeistern.
Das stimmt. Erfolg kann ein Motivator sein für Neueinsteiger und so können die jüngsten Erfolg ein Impuls sein.
Die nächste Herausforderung steht Anfang Oktober an, wenn Ihr am Sonnabend (1.10.) und Sonntag (2.10.) das bereits 15. Masters „Keep your mind wide open“ ausrichtet. Welche Teams werden dieses Jahr dabei sein?
Wir sind das einzige internationale Turnier, das kontinuierlich jedes Jahr ausgetragen wird. Neben Avoy MU Brno, AC Crema, Merseyside Blind FC sowie Frankreichs U23 ist erstmals auch das polnische Team aus Krakau dabei. Sie hatten uns mehrere Male eingeladen, wir konnten aber nie teilnehmen und so haben wir sie nun eingeladen. Neben den sechs Männer-Teams ist erstmals auch unser Frauen-Team dabei. Sie werden gegen das französische Team von Schiltigheim spielen, gegen das sie Anfang September beim World Grand Prix in Frankreich bereits gespielt haben. Es wird das erste internationale Spiel zweier Frauen-Teams in Deutschland sein.
Ihr habt gerade erst die Bundesliga-Saison beendet, daher abschließend noch die Frage: Wie weit seid Ihr mit der Vorbereitung des Masters?
Wir stecken noch mittendrin. Ich bin aber guter Dinge, dass wir alles hinbekommen werden. Wie in jedem Jahr freuen wir uns auch wieder über Helferinnen und Helfer, die uns bei der Ausrichtung des Turniers unterstützen. Wer Zeit und Lust hat, kann sich gerne bei uns melden, auch wenn man zeitlich nur begrenzt unterstützt kann.
Das sollte doch klappen. Vielen Dank fürs Interview!
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Wenn Ihr unserem Blindenfußball-Team bei der Vorbereitung und Ausrichtung des Masters helfen wollte, sendet einfach eine E-Mail an blindenfußball@fcstpauli.com und verwendet dabei bitte den Betreff „Masters 2022 Helfer*in“. Wie in jedem Jahr wird beim Auf- und Abbau, Einlass und Verpflegungsstand Unterstützung benötigt. In diesem Jahr wären Übersetzer*innen (französisch, italienisch, tschechisch, polnisch, englisch) ebenfalls sehr hilfreich, um für die teilnehmenden Teams zu übersetzen.
(hb)
Fotos: Witters / Stefan Groenveld