„Man will das eigentlich alles nur noch hinter sich bringen“
Sonnabend, 16. Dezember 2023, 10:00 Uhr
Hinter dem FC St. Pauli-Nachwuchsspieler Eric da Silva Moreira liegt ein äußert ereignisreiches Jahr: Schließlich gewann der 17-Jährige mit der deutschen U17-Nationalmannschaft im Sommer nicht nur die Europameisterschaft, sondern konnte mit dem Team in Indonesien Anfang Dezember auch zum ersten Mal überhaupt den Weltmeistertitel feiern. Wir haben uns mit ihm über das Turnier, seine Entwicklung und den langen Weg zum Elfmeterpunkt unterhalten.
Das Wichtigste gleich zu Beginn: In der Schule läuft es für Eric da Silva Moreira gut, im Sommer steht dann das Abitur an. „Die Lehrer sind sehr verständnisvoll und unterstützen mich bei dem, was ich verpasst habe“, gibt der frisch gebackene U17-Weltmeister einen kleinen Einblick, als er zwischen Unterricht und Training am Abend an der Kollaustraße zum Gespräch Platz nimmt. Nach vier intensiven Turnierwochen hat ihn der Alltag wieder, er ist „zurück in der Realität“, wie er selbst es formuliert. Und das bedeutet eben nicht nur, endlich Freunde und Familie wiederzusehen, sondern auch verpassten Schulstoff aufzuarbeiten.
Dass dieser Nachholbedarf entstanden ist, daran ist Eric gewissermaßen auch selbst schuld, schließlich trug er mit starken Leistungen in Indoniesen dazu bei, dass die deutsche U17 bis ganz zum Schluss dabei war und letztlich sogar den Titel holte. Unter dem Strich steht für das Team ein maximal erfolgreiches Jahr, in dem es sich zum Welt- und Europameister krönen konnte. Erstaunlich ist dabei auch der ähnliche Verlauf beider Turniere. Nach jeweils makelloser Hinrunde ging es in den KO-Spielen ausnahmslos spannend zu, jeweils zwei Entscheidungen im Elfmeterschießen inklusive. Insofern war die EM im Sommer auch die perfekte Generalprobe für das, was im Winter folgen sollte.
„Ich glaube, dass uns diese Erfahrungen aus der EM bei der WM geholfen haben“, erläutert Eric im Gespräch. Insbesondere den Umgang mit Rückschlägen habe das Team kennengelernt, dazu gehörten eine frühe Unterzahl im Viertelfinale gegen die Schweiz oder ein zweifacher Rückstand eine Runde später gegen Polen. „Da sind wir schon sehr zusammengewachsen und hatten was Besonderes im Team, dass jeder für jeden da war. Bei der WM haben wir das so fortgeführt, als es dann hart wurde.“ Auch unter Druck sei die Mannschaft cool geblieben und habe auf die eigene Stärke vertraut. Explizit betont Eric dabei, dass „jeder daran beteiligt war. Nicht nur die, die gespielt haben, sondern alle waren ein Teil davon. Oft haben auch die Einwechselspieler die Spiele entschieden. Man ist über einen Monat die ganze Zeit zusammen, das war einfach ein krasser Teamspirit.“
Überraschen konnte ohnehin weniger das hohe fußballerische Niveau beider Turniere, sondern vor allem die Rahmenbedingungen und die Begeisterung im Gastgeberland Indonesien: „Das habe ich etwas unterschätzt nach der EM. Das war auch ein sehr großes Event, aber die WM war noch mal was ganz anderes. Das war für die Menschen ein riesen Ding und jeder wusste, dass in dem Land WM ist. Überall waren Banner und es war einfach krass zu sehen, wie professionell alles aufgezogen wurde.“
Dass Eric, der bereits seit 2015 in der Jugend des FC St. Pauli spielt, aus den vergangenen Wochen auch für seine persönliche Entwicklung profitiert, ist ihm absolut bewusst: „Ich denke, die Spiele bei der WM waren vom Setting her schon sehr nah dran an dem, wie es bei den Profis ist. Man muss unter hohem Druck performen und das ist das, wo man irgendwann hinkommen will. Man merkt schon früh, dass es nicht so einfach ist und dass man mental stark sein muss, wenn es mal nicht so läuft. Das nehme ich auf jeden Fall mit.“ Dabei erscheint der Flügelspieler dennoch im besten Sinne unbekümmert und selbstbewusst, absolvierte etwa den Medienrummel nach der Rückkehr aus Indonesien mit erstaunlicher Gelassenheit. „Das kennt man ja eher von den Profis. Es war eine schöne Erfahrung, auch mal so eine Aufmerksamkeit zu bekommen und so eine Bühne zu haben.“
Als Beleg dieses Selbstbewusstseins und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, dienen aber auch die beiden Elfmeterschießen im Halbfinale und Endspiel, in denen er jeweils als erster seines Teams zum Punkt ging. Druck, Erschöpfung, der lange Weg vom Mittelkreis bis zum Strafraum. Was geht einem in solchen Momenten durch den Kopf? „Man unterschätzt das erst mal, wie viel man davor schon gespielt hat, besonders bei den Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit. Dann gab es noch pro Halbzeit acht Minuten Nachspielzeit. Da ist man schon echt kaputt und will das eigentlich alles nur noch hinter sich bringen. Trotzdem weiß man, dass es ein wichtiger Moment ist. Der Weg ist natürlich lang und da gehen viele Gedanken durch den Kopf, aber am Ende ist es auch nur ein Schuss. Dass er im Finale nicht reingegangen ist, war erst mal ärgerlich. Aber wir haben gewonnen und dann war es auch egal.“
Doch nicht nur die Erinnerung an eine insgesamt „sehr wichtige, tolle und schöne Erfahrung, für die ich sehr dankbar bin“, sondern auch persönliche Highlights wie die beiden Treffer gegen Mexiko und Venezuela oder eine entscheidende Rettungsaktion gegen das spanische Team wird der 17-Jährige über die Feiertage mit Freunden und Familie teilen können. Doch bevor wirklich Gelegenheit dazu ist, stehen noch schulische Verpflichtungen auf dem Plan: „Ein paar Arbeiten muss ich noch nachschreiben. Natürlich nicht über die Feiertage, aber das muss ich noch nachholen. Das wird noch intensiv bis Weihnachten.“ Dazu kommt auch noch ein Auftritt bei der ZDF-Sportgala in Baden-Baden am Sonntag, weshalb er beim letzten Heimspiel der Profis nicht am Millerntor sein kann, wo er eigentlich geehrt werden soll.
(hbü)
Fotos: FIFA / Witters