"Ich habe mich immer als einen deutschen Staatsbürger gesehen"
Dienstag, 27. April 2021, 17:45 Uhr
Bawar erzählt uns seine Geschichte eines jungen Mannes, der in Kurdistan geboren wurde, in Deutschland aufgewachsen ist und heute wieder in Kurdistan lebt. Er berichtet von Rassismus-Erfahrungen in und durch verschiedene gesellschaftliche Strukturen.
Hallo liebe Leserinnen und Leser,
ich fange damit an über mein Leben und Lebenserfahrungen zu reden. Also, im Jahr 1990, in einer Stadt namens Duhok, die im Nord Iraq liegt, auch bekannt als das autonome Kurdistan, bin ich zur Welt gekommen. Im Alter von vier Jahren waren meine vier Geschwister und meine Eltern und meine Wenigkeit gezwungen, unser Heimatland zu verlassen aufgrund eines Todesurteils, das von Sadam Hussein gefällt wurde. Das Todesurteil war auf meinen Vater gerichtet, weil er in der kurdischen Sprache politische wie auch kulturelle Lieder und Liebeslieder gesungen und verbreitet hatte.
Wir flohen nach Deutschland. Hier fing alles an. Soweit ich mich erinnern kann, war das Leben in Deutschland am Anfang sehr schwer für meine Eltern, da sie der Sprache und Kultur nicht familiär waren. Von der ersten Klasse habe ich die Grundschule begonnen. Von der 1. bis zur 4. Klasse hatte ich die Gelegenheit, viele Freunde zu finden, wie auch die Möglichkeit, in deren Leben zu sehen und deren Lebensqualität und auch deren Kultur mehr kennenzulernen.
2001 habe ich mein fünftes Schuljahr begonnen, in der Hauptschule in Neuenkirchen-Seelscheid. In dieser Zeit habe ich mich mehr "Deutsch" gefühlt als ein Ausländer. Alle meine Freunde bis zu diesem Zeitpunkt waren von deutscher Abstammung, dies hatte einen positiven Einfluss auf mich. Schon in jungen Jahren erschien mir eine gute Bildung sehr wichtig (das war der Einfluss meines Umfeldes).
In der Sekundarschule habe ich mich zum ersten Mal in einer Prügelei versehen, mit einem deutschen Klassenkameraden. Der hatte mich schon sehr oft provoziert wegen meiner Hautfarbe. Er behauptete auch, dass wir aus Hunger in SEIN Land gekommen sind (mein Vater war ein sehr erfolgreicher Textilhändler und Schneider in seiner Zeit in Kurdistan)!! Bevor die Situation eskalierte, habe ich versucht, das Gespräch mit ihm zu finden und ihm zu erklären, dass wir wegen etwas ganz anderem in Deutschland sind, aber es kam nie dazu. Hier fing für mich der Teufelskreis an. Mit Ausländern habe ich mich einigermaßen gut verstanden, aber die Deutschen haben mich nicht akzeptiert, was für mich ein großer Rückschlag war, da ich mich in deren Nähe viel wohler fand.
Dieses Argument taucht immer wieder auf und es hat mir das Leben schwer gemacht. Ich habe mich immer als einen deutschen Staatsbürger gesehen, aber mein Aussehen hat es nicht reflektieren können.
Nach Saddams Fall im Jahr 2003 kehrte mein Vater alleine in unser Heimatland zurück. Mein zwei Jahre älterer Bruder und ich hatten keine Wahl, in Deutschland weiterzuleben, da auch meine Mutter die Entscheidung gefällt hatte, wieder zurück zu in die Heimat zu ihrem Mann zu kehren, aufgrund der deutschen Regierung, die uns nach so viel Jahren Aufenthalt keine Erkennung gab, uns deutsch zu fühlen und das Gefühl zu haben, zu deutschen Gemeinschaft dazu zu gehören (wir haben nach so vielen Jahren in Deutschland keine deutsche Staatsbürgerschaft erhalten).
2007 war das Jahr, wo wir nach Kurdistan zurückkehrten. Hier hat der Teufelskreis immer noch nicht aufgehört, hier bin ich auch der Ausländer wegen meiner typisch deutschen Art. Hier in Kurdistan ging ich dann zu einer englischen Sekundarschule, die denen gewidmet war, die beschlossen hatten, aus Europa zurückzukehren. Wenn du es dir vorstellen kannst, als Deutscher in ein anderes Land zu kommen und dort mit der verschiedenen Kultur und Religion zu leben, dann weißt du, was ich alles in den Jahren durchmachen musste. Ich durfte keine Freundin haben, geschweige denn mit einem Mädchen ins Kino gehen oder so.
Während meiner Zeit in der Sekundarschule erhielt die Schule eine Bombendrohung, weil wir die "Ausländer" in deren Augen waren. Aber seitdem hat sich auch das Leben hier nicht viel, aber etwas verbessert. Trotzdem fühle ich mich hier immer noch nicht daheim. Und das Allerschlimmste ist, dass ich meinen Bruder in Deutschland und meine Schwester in Holland nicht besuchen kann.
In den vergangenen Jahren habe ich es gemeistert, ein Studium als Innenarchitekt erfolgreich zu beenden. Aber ich kann mir vorstellen, dass meine Arbeit als Innenarchitekt hier in Kurdistan denen aufgrund der Art und Weise, wie ich denke und arbeite, nicht gefallen wird. Hier ist es alles sehr chaotisch und es mangelt an professionellen Arbeiter*innen und Materialien.